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The Poop Rapist The Poop Rapist ist weiblich
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Rede und Gegenrede

Der Saal, in dem Philippe Makarowitsch Samsanow sich seinem Urteil zu stellen gedachte, war wenig geräumig, niedrig und kaum beleuchtet. In die Reihen der Zuschauer, die ihn später richten sollten, fiel kein Licht. Lediglich über dem schmalen Pult, hinter dem Philippe nun seine Verteidigungsrede halten würde, baumelte ein schwaches Lämpchen. Während er noch einmal seine Aufzeichnungen überflogen und den Beginn der Sitzung erwartet hatte, war kein Laut aus dem Publikum zu vernehmen gewesen. Doch trotz der Tatsache, dass sie sich in ungebrochenes Schweigen hüllten, schienen die Zuschauer durchaus nicht von Angespanntheit erfüllt. Vielleicht aber spiegelte sich in dieser seiner Vermutung auch nur Philippes eigene Nervosität wider. Mit einem Mal wurde die Stille von einer Glocke, die jemand irgendwo im hinteren Teil des Saales läutete, zerrissen; Philippe erschreckte fürchterlich. Er wusste nicht, zu wann der Sitzungsbeginn angesetzt worden war, man hatte ihn nur zu einem bestimmten Termin hierher bestellt, den er auch eingehalten hatte. Doch die Glocke schien für ihn das Zeichen gewesen zu sein, mit seiner Rede zu beginnen. Ohne seine Notizen zur Hand zu nehmen, richtete er das Wort an das im Dunkel des Saals sich befindene Publikum:
"Ich bin ein meinungsfreies Wesen. Ich trage in mir keine Überzeugungen, für die einzutreten ich mich ereifern könnte, ich habe keine Prinzipien, denen treu zu sein für mich gelten könnte; in Fragen, die über alltägliche Dinge hinausgehen, vermag ich zu keinem Entschluss zu kommen. Ich habe oft geradezu krampfhaft versucht, mir eine Philosophie zu erdenken, oder auch nur eine einzige Ansicht zu einem Thema, wollte mir über meine Haltung zu diesem oder jendem Sachverhalt selbst Rechenschaft ablegen – nie kam ich zu einem Ergebnis! Sobald ich mir über grundsätzliche Fragen Gedanken zu machen beginne, entziehen sie sich schon vollständig meiner Erkenntnis. Diese Erkenntnisunmöglichkeit, dieses Unvermögen, mir eine Meinung zu bilden, ist ein blinder Fleck, auf meiner Seele oder sonstwo, der mich rasend macht! Man hat mich mitunter entschieden äußern hören, es sei närrisch und töricht, zu glauben, man könne das System durchschauen. Und dass nur ein Narr zu glauben imstande sei, etwas Endgültiges wissen zu können! (Aber kommt es denn darauf an?) – Vielleicht hat hin und wieder jemand, der diesen meinen Erörterungen beiwohnte, zu bemerken geglaubt, mit welchem Eifer ich mich doch für diese Idee einsetzte, ja mich mit ihr brüstete! Hatte ich womöglich letztendlich eine Maxime für mich gefunden, eine Meinung, wenn sie auch nur in der Überzeugung fußte, sich endgültige Meinungen nicht bilden, ja anmaßen zu können, weil man der Welt in ihrer Unfassbarkeit nur ohnmächtig gegenüber stehen dürfe? Nein, hierbei, bei dieser 'Idee'", rief er verächtlich aus, "handelte es sich lediglich um eine Trotzreaktion! Eine kindische Trotzreaktion! Diese hübsch eitle Maxime drückte nicht meine Ohnmacht gegenüber der Unfassbarkeit der absoluten Zusammenhänge in der Welt aus, sondern meine Ohnmacht gegenüber meiner eigenen Unfähigkeit, diese Zusammenhänge auch nur im Ansatz zu erörtern. Mit welcher Arroganz geruhte ich jene zu verlachen, die ihre Meinung vertraten, für sie eintraten, in welcher Form auch immer sie ihre Idee in der Öffentlichkeit artikulierten. Und mit welcher Scham blicke ich nun auf mein Verhalten zurück! Wie glaubte ich mir diesen Hochmut gegenüber denen, die die Kraft besaßen, für ihre Überzeugungen einzutreten, verdient zu haben? Durch meinen verachtungswürdig oberflächlichen Leitspruch, meine Damen und Herren, es wäre vermessen, sich in Anbetracht der allumfassenden Undurchschaubarkeit des Universums eine Meinung über irgend etwas zu bilden!" Hier hatte er den Höhepunkt seiner Selbstbezichtigung erreicht. Er atmete heftig, blickte wie wild in die Reihen der Zuhörer und wagte nicht, jemandem länger als nur den Bruchteil einer Sekunde in die Augen zu schauen. Als er sich von seiner Erregung etwas erholt hatte, verfiel er in einen demütigen, geradezu weinerlichen Ton: "Meine Damen und Herren, es tut mir aufrichtig leid", gestand er. "Meine Seele kennt in diesem Augenblick, dem schwächsten und ohnmächstigsten Augenblick meines bisherigen Lebens, keine Empfindung als ehrliche und heftige Reue. Ich teile Ihnen, verehrte Zuhörer, die sie so tausendmal ehrbarer und höherstehend sind, als ich es bin – ich teile es Ihnen nicht mit, um Ihre Vergebung zu erheischen. Ich weiß, dass ich dieser Ihrer vergebung nicht würdig bin. Ich möchte von Ihnen, in Ihrer schier unendlichen Weisheit und Güte, nicht von meiner Scham, die ich mir für den Rest meines niedrigen Lebens aufzuerlegen fest entschlossen bin, und die keinen Bruchteil meiner Schuld aufzuwiegen vermag – ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie mich von dieser Scham freisprechen! Im Gegenteil, würden Sie mich ihrer freisprechen wollen, würde ich mich nur noch heftiger vor brennender Reue verzehren und noch härter mich zu geißeln verpflichtet sehen. Nein, Vergebung verdiene ich nicht! Ich wollte Ihnen, meine Wohltäter – denn das sind Sie, die Sie mich in meiner reuigen Verzweiflung anzuhören sich herabgelassen haben – nur deutlich machen, in welchem allumfassenden Recht sie sich mir und der Welt gegenüber befinden. Ich wünschte, ich hätte die Fälsche meiner eitlen Weltanschauung früher erkannt. Ich schäme mich so. Ich wünschte, ich wäre wie Sie." Hatte er die vergangenen Minuten zwar mit sehr leiser, aber doch vernehmbarer Stimme gesprochen, so war ihm der letzte Satz nur als heiseres Flüstern über die Lippen gekommen, so dass man ihn wohl nur in den ersten zwei Reihen verstanden haben mochte, und auch hier nur, wenn man die kaum artikulierten Silben zu deuten gewusst hatte. Nun senkte der Sprecher demütig das Haupt, ohne noch einmal einen Blick in sein Publikum, aus dessen Reihen noch immer kein Laut zu vernehmen war, zu wagen, und verharrte regungslos an seinem Platz. Er glaubte vor quälender Ungewissheit über die Art, in der nun mit ihm verfahren werden sollte, sterben zu müssen. Schließlich erhob sich jemand aus der vordersten Stuhlreihe von seinem Platz. Es war ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, groß und schlank, mit einem wenn nicht hübschen, so aber äußerst verständig, nahezu klug anmutenden Gesicht, aus dem zwei helle, geistvoll und spöttisch blickende Augen den Demutsvollen zu durchbohren wollen schienen.
"Ist es nicht vielmehr so", setzte er ohne weitere einleitende Worte an, "dass Sie, der Sie sich wie wir zu sein wünschen, lediglich aus dem Grund heute vor uns getreten sind, um sich in Ihrer blinden Selbstvernarrtheit selbst zu heben, im fahlen Licht unserer kleingeistigen Überzeugung, 'auch nur im Ansatz' das System zu durchschauen? Oh, wieviel Überwindung muss es Sie gekostet haben, vor uns, die Sie uns so sehr verachtet und verlacht haben, es jetzt noch tun, den Irrtum Ihres gesamten Lebens einzugestehen, diesen nie wieder gutmachbaren, allumfassenden Fehler Ihres gesamten Lebens! Was für Edelmut zeigt sich in Ihrem, noch in Ihrer bittersten Niederlage dem Sieger mit solch feierlicher Rede, unter Tränen der Reue, zu gratulieren, in all seinen Ansichten ihn zu bestätigen! Und schlussenndlich, welche Größe haben sie bewiesen, uns Ihren geheimsten, aufrichtigsten Wunsch" – hier lachte er gehässig – "so zu sein wie wir, anzuvertrauen! Aber ist es nicht genau hier, da der Hund begraben liegt? Verrät nicht dieser so aufrichtig von Ihnen geäußerte Wunsch Ihre eigentliche, verborgene Absicht, wie sie unaufrichtiger nicht sein könnte? Selbstverständlich, Sie haben eingesehen, dass es sich als 'meinungsfreies Wesen', das Sie waren – das Sie sind! – nicht leben, sich das Leben nicht aushalten lässt. Ich gestehe Ihnen zu, dass es an Stärke verlangt, eine Idee, an der man sich mit solch beißender Sturheit zu klammern gewohnt war wie Sie, öffentlich zu verurteilen, aufzugeben. Aber eben doch nur vermeintlich aufzugeben! Sie waren zwar Ihrer philosophischen Zwickmühle sich bewusst geworden, wollten aber nichtsdestotrotz von Ihrer arroganten Maxime nicht lassen. So beschlossen Sie, unter feuereifrigsten Demuts- und Schuldbekundungen sich unserer Lebenshaltung, die Sie auch jetzt noch für so töricht halten, wie Sie es ehedem zu tun geruhten, anzuschließen, um Ihres Seelenheils Willen. Doch Ihre geliebte Überzeugung von der Undurchschaubarkeit des Systems gedachten Sie auf ewig in Ihrem Herzen zu tragen!
Verraten hat Sie in Ihrer immer noch flammenden Arroganz und Selbstüberhebung das von Ihnen so demutsvoll gestandene Verlangen, zu sein, wie wir es sind. In diesem Ihren Wunsch, Ihrer so überzeugend vorgetragenen Beichte, schwang jeder Partikel Verachtung, den Sie für Menschen wie uns empfinden, mit: Wie gerne würden Sie unsere unbeschwerten Leben leben dürfen, in einem System, das wir zu durchschauen imstande zu sein glauben, in einer den Schmerz der Erkenntnisunfähigkeit betäubenden Naivität, ohne die Last dieser übergeordneten Idee, dieses höheren Ideals der Undurchleuchtbarkeit der Weltzusammenhänge, wie gerne würden Sie auf die Qualen der Isolation verzichten, die Ihnen Ihre überlegene Einsicht auferlegte! Unsere kleingeistigen Leben, die Sie als regelrecht niedlich erachten, ja verachten müssen, erschienen Ihnen in Ihrer inneren Zerrissenheit so erstrenbenswert, dass Sie letztendlich sogar Ihrem großen Ideal – das nämlich in der Tat eines ist, vielleicht sind Sie uns ähnlicher, als Sie zu vermuten hofften, haha! – dass sie diesem Ideal öffentlich abschworen; es in Wirklichkeit aber weiterverehrten, jetzt in diesem ausdrücklichen Augenblick verehren Sie es noch!" Auch der junge Mann hatte sich bei seiner Rede sehr verausgabt, strahlte jedoch in seiner Erschöpfung im Gegensatz zu seinem Vorredner tiefste Zufriedenheit aus. Dieser hatte die ganze Zeit, in der die Beschuldigungen über sich hatte ergehen lassen, immer wieder den Satz: "Ich schäme mich so" vor sich hingemurmelt. Nun, mit dem Ende der Anklagerede, war auch er verstummt. Der ihn so entschieden und vorbehaltlos angeklagt hatte, nahm Platz und musterte Philippe, den er entlarvt zu haben sich sicher war, mit gehässiger Genugtuung. Lange passierte nichts, die versammalte Menge starrte auf den in demutsvoller Pose Erstarrten, der immer noch den Kopf hängen ließ. Plötzlich jedoch riß er ihn hoch, starrte mit wilder Mine in die Menge und brüllte: "Es ist wahr! Alles ist wahr! Ich schäme mich meiner so!" Die letzten Silben im Anflug eines Weinkrampfes hervorgepresst, brach Philippe zusammen. Alle Anwesenden sprangen sofort auf, einige warfen ihre Stühle um, und eilten dem Zusammengebrochenen zur Hilfe. Lediglich der junge Mann, der die so erbarmungslose Anklagerede gehalten hatte, behielt Platz, entfernete sich aber, nach einem Moment unentschlossenen Wartens, vorsichtig, um nicht von den anderen, die Philippe umringten, bemerkt zu werden.

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outed sich das er den sinn nicht versteht

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15.06.2004 17:55 Goliat Skipson ist offline E-Mail an Goliat Skipson senden Homepage von Goliat Skipson Beiträge von Goliat Skipson suchen Nehmen Sie Goliat Skipson in Ihre Freundesliste auf
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Wie, da ist doch aber nichts verschlüsselt geschrieben oder so? Ist doch alles so formuliert, wie es ist, ohne dass dümmliche Metaphorik sich reinmischen würde. Aber vielleicht suchst du auch nach tieferem Sinn, wo ich gar keinen haben wollte *spekulier*.

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15.06.2004 17:58 The Poop Rapist ist offline Beiträge von The Poop Rapist suchen Nehmen Sie The Poop Rapist in Ihre Freundesliste auf
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