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Zum Ende der Seite springen Gefühl ohne Namen
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The Poop Rapist The Poop Rapist ist weiblich
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Gefühl ohne Namen Auf diesen Beitrag antworten Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       Zum Anfang der Seite springen

Endlich komm ich dazu, Dir Deinen Brief zu schreiben. Ich hab’s die letzten Tage öfter mal probiert gehabt, aber irgendwie kam jeweils nichts bei raus. Ich wusste einfach nicht, worüber schreiben, und je länger ich am Schreibtisch saß ohne auch nur ein einziges Wort zu Papier zu bringen, desto dringender wollte ich es besser erst mal ganz sein lassen und warten, bis mir dann tatsächlich was einfiel. Na ja, was soll ich sagen, und jetzt bleibt mir kaum was anderes zu tun übrig als Dir den Breif zu schreiben, weil ich kann hier nicht weg. Und zwar befinde ich mich gerade in der Bank, es ist nach achtzehn Uhr, sie hat bereits geschlossen, draußen aufm Marktplatz ist das größte Polizeiaufgebot in der Geschichte dieser Stadt am Start, und hier drinnen sind zwei Geiselnehmer, deren AK47s eine deutliche Sprache sprechen.
Ja, Du hast richtig gelesen: Dein Schatz ist Geisel in einem bewaffneten Banküberfall. Ohne Scheiß. Wenn das mal nichts ist, worüber sich schreiben lässt! Außer mir sind’s noch sechs andere Geiseln, allesamt Frauen. Aber keine Angst, die sind durch die Kalaschnikovs viel zu verunsichert, um überhaupt an (Gruppen-)Sex zu denken. Doch weiß man, wozu uns die Geiselnehmer noch zwingen werden!?
Nein, sei unbesorgt – wenn Du diese Zeilen liest, wird das Ganze hier sowieso schon vorbei sein, und Du brauchst dir ohnehin keine Sorgen mehr zu machen; wobei man sich ja über mich nie genug Sorgen machen kann – sei unbesorgt, die Geiselnehmer sind cool drauf. Die haben gar nicht wirklich vor, uns was zu tun, sondern drohen nur den Bullen damit. Ich glaub, der Eine, Tom heißt er, wäre nicht mal dazu fähig, seine Waffe überhaupt abzufeuern, geschweige denn auf Menschen. Michael, der mir von den Beiden entschieden das Gehirn zu sein scheint, wirkt, als würde er durchaus über Leichen zu gehen bereit sein, wirkt allerdings auch so, als könne er ganz klar einschätzen, wann dies nötig ist und wann nicht. Du siehst, alles in allem haben wir Geiseln es hier gut getroffen!
Dieser Michael ist sowieso eine Klasse für sich. Der bewahrt bisher vollkommene Ruhe, und vor allem geht er geradezu höflich mit uns um. Ich meine, wir sind ja schon alle – sofern es unsere Situation überhaupt zulässt – entspannt, aber Michael setzt noch mal eins drauf. Er ist sowas wie das warme Zentrum hier; und das muss man von einem Bankräuber, der eine Kalaschnikov umhängen hat und den Cops droht, seine Geiseln zu erschießen, erst mal behaupten können. Noch dazu hat er ein bisschen was vom jungen, noch unverbrauchten Al Pacino an sich. Also von wem Cooleren hätte man sich echt nicht als Geisel nehmen lassen können.
Ursprünglich, darauf kann ich ja jetzt hier mal zu sprechen kommen, war überhaupt gar keine Geiselnahme geplant gewesen; soviel hab ich mitgekriegt. Ich sitz hier übrigens gerade im Wartebereich der Bank in einer durchaus bequemen Ledercouch und schreibe Deinen Brief in meinen Skizzenblock von der Arbeit. Aber ich glaube, ich werd’ das später eh alles noch mal abtippen müssen, damit Du’s überhaupt lesen wirst können; meine Handschrift ist unter aller Sau. Das kann man ja aber auch verstehen, immerhin bin ich eine Geisel und nervlich total am Ende!
Jedenfalls war ich vorhin zur Bank gegangen, um mir meinen Kontoauszug zu holen, um zu gucken, ob die das restliche Geld schon überwiesen haben – hatte ich ja schon erzählt, dass das erst nachm Wochenende drauf sollte. Und wie ich so am Automaten stehe und warte, dass es meinen Beleg druckt, wird auf einmal das Rattern des Druckers übertönt vom Gebrüll zweier Männer, die Kalaschnikovs schwingen und alle Kunden sowie das Personal unter Waffengewalt in den hinteren Teil des Saales zusammenpferchen. Da waren wir natürlich erst einmal allesamt entsetzt; grade ich, weißt ja eh, was für einen Schisser Du zum Freund hast. Zu dem Zeitpunkt wagte ja noch keiner von uns zu ahnen, dass einer der Bankräuber geradezu ein Gentleman mit vorzüglichen Manieren und überaus einnehmender Art ist.
Gerade eben hat er mich gefragt, was ich hier überhaupt schreibe. Ich hab gesagt, „Mein Testament“, da hat er gelacht. Ich glaube, er mag mich. Wir warten übrigens auf die Pizzas, die Michael beim redeführenden Polizeichef quasi für uns „ausgehandelt“ hat.
Nachdem die Fronten also geklärt waren, sprich wir mit erhobenen Händen vor den Läufen der AK47s standen, sollten zunächst die Eingangstüren verschlossen sowie im Anschluss der Tresorraum geöffnet werden. Die Verantwortliche, die die entsprechenden Schlüssel hatte, kümmerte sich dann auch darum, nachdem Michael ihr auseinandergesetzt hatte, wie sehr er Wert auf Kooperation legte, und als eigentlich schon alles zur Zufriedenheit der zwei Banditen abgewickelt und keiner von uns verletzt worden war, brüllte draußen auf einmal der dicke Chef der hiesigen Polizei ins Megaphon, „die Bank [sei] umstellt“. Michael ist im Prinzip nichts anderes übrig geblieben als uns als Geiseln zu nehmen, mit irgendwelchen Karten musste er ja schließlich spielen. Und wir waren noch dazu ein gutes Blatt. Außerdem wollte er uns eh nichts tun.
Soviel ich aber mitgekriegt habe, hat Michael seinen Komplizen Tom, von dessen offenbarer Unfähigkeit, seine Kalaschnikov abzufeuern, ich ja vorhin bereits geschrieben habe – den hat Michael gegenüber dem Bullen als unberechenbaren Killer mit lockerem Finger am Abzug charakterisiert. Ein cleverer Schachzug! Michael hat nicht nur halbwegs gute Karten, er blufft auch noch hervorragend. Die werden sich da draußen zweimal überlegen, irgendwelche Dummheiten anzustellen; sie können sich ja schlecht vor aller Augen – denn es hat sich glaube ich schon einiges an Schaulustigen zusammengerottet vor der Bank – die Blöße geben, unsere Leben zu riskieren. Du siehst, ich bin in jeder Hinsicht auf der sicheren Seite.
Überhaupt ist die Atmosphäre hier drinnen bei uns sehr entspannt. Die anderen Geiseln scheinen ebenfalls zu wissen, was sie an ihrem Geiselnehmer haben, ein paar von ihnen sitzen eine Couch weiter mit Michael zusammen und unterhalten sich. Tom läuft immerzu den Saal auf und ab und wirft nervöse Blicke Richtung Eingang. Ich glaub, ich werde mich jetzt mal zu den anderen setzen und mir mit ein bisschen Small Talk die Zeit bis zur Pizza vertreiben. Nebenbei werde ich noch tiefschürfende Einblicke in die Psyche eines Kriminellen nehmen! Ich schreib Dir nachher weiter.

Da bin ich wieder. Die Pizza war lecker, auch wenn’s Thunfisch war. Ich kann dir jetzt übrigens, weil es Dich sicher die ganze Zeit über bereits brennend interessiert hat, die Namen von den Frauen sagen, als da wären Eva, Beatrice, Andrea, Edna, Monika und Silvy. Wir unterhalten uns hier alle sehr nett. Ab und zu muss Michael uns aufscheuchen und wieder nach hinten schicken, wenn er raus geht, um mit dem Polizeichef von Mann zu Mann zu verhandeln. Seine einzige Versicherung dabei, dass er nicht sofort von ’nem Scharfschützen im Turm des Rathauses erschossen wird, wenn er die Tür aufschließt und raustritt, ist sein bis an die Zähne bewaffneter, verrückter und mit den Geiseln alleingelassener Komplize Tom, der uns natürlich sofort widerspruchslos allesamt niedermähen würde, wenn die Polente irgendwelchen funny stuff versuchte. Michaels Kühnheit und Ausgebufftheit sind fast schon zu bewundern. Dieser Mann scheint auf einem schmalen Grat zu balancieren, links davon liegt absolutes Wissen, was er tut, und rechts davon absolutes Nicht-Kümmern, was passiert. Und eine Ausstrahlung hat dieser Mann, die ihresgleichen sucht. Ich wünschte, Du könntest ihn sehen. Obwohl, vielleicht lieber nicht, Du könntest wahrscheinlich beinah nicht anderes als Dich ich ihn zu verlieben. –
Ich hab übrigens schon mit dem Gedanken gerungen, den Helden zu spielen, damit Du mich in den Nachrichten siehst und ein bisschen weniger vermisst. Aber dann hab ich mir überlegt, dass Du mich nur noch mehr vermissen würdest, wenn ich dabei draufginge. Mal ganz abgesehen davon kann und will ich das Michael gar nicht antun.
Außerdem wird über unsere popelige kleine Geiselnahme hier wo Du bist sicher eh nicht im Fernsehen berichtet. Die interessiert das da drüben gar nicht. Da müssen schon erst noch ein paar Dutzend Geiseln geschlachtet werden, bis internationales Aufsehen erregt wird. Kann man uns nur die Daumen drücken! Okay, wir werden erst mal wieder zusammengepfercht, bis gleich.

Die ganze Sache beginnt sich ja mittlerweile ganz schön hinzuziehen. Aber ich mache Michael keinen Vorwurf, er kann nichts dafür; die Polizei bemüht sich lediglich nicht schnell genug seine Forderungen zu erfüllen. Es scheint Stunden her zu sein, dass er einen Jet nach Algerien verlangt hat. Noch war keiner hier.
Oh, ich seh grad, Michael kommt wieder von draußen rein. Er winkt uns zu sich.

Es ging darum, dass die Bullen im Tausch für den Jet eine der Geiseln wollen. Michael hat das eingesehen und zugestimmt; nur wollte er mich schicken. Kannst Du dir das vorstellen? Als gäbe es nicht sechs Frauen, denen der Vorzug zu lassen wäre. Ich hab ihm auch gesagt, dass er lieber Edna schicken solle, die wirke von uns allen am erschöpftesten. Edna war es dann auch, die Michael den Bullen gegeben hat. Ich kann ihn doch jetzt nicht allein lassen.

Grad eben war ein Polizist bei uns in der Bank gewesen. Er wollte sich vergewissern, dass die restlichen Geiseln allesamt wohlauf sind. Ich hätte es erst beinah gar nicht mitbekommen, so vertieft bin ich hier ins Schreiben! Da erlebe ich nun live eine Geiselnahme mit, Abenteuer und Blutvergießen liegen in der Luft, und ich habe nichts Besseres zu tun als gedankenverloren einen Brief an Dich zu schreiben und krieg kaum was mit. Um ein Haar hätte ich Michael verpasst, wie er sich mit dem Polizisten stritt; endlich mal konnte ich ihn dabei aus nächster Nähe betrachten, nicht nur aus der Entfernung durch die Glastüren der Bank. Er ist sehr schön, wenn er sich aufregt.
Es war darum gegangen, dass Michael und Tom, sobald der Jet würde da sein, die Geiseln ja freilassen konnten. Doch Michael bestand darauf, mindestens drei von uns mit an Bord zu nehmen, „als Sicherheit“. Der Polizist ist jetzt raus, um dem Verantwortlichen da draußen Michael Angebot zu unterbreiten.
Für mich steht jedenfalls fest, dass ich bei Michael bleiben werde, ich werde mit an Bord des Jets gehen. Ich spüre, dass auch er eingesehen hat, dass er mich braucht. Ich werde Michael nicht im Stich lassen.
Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ein anderer Mann solche Gefühle in mir würde auslösen können. Wir sind füreinander geschaffen. Ich verlasse Dich für ihn.

Vergiss, was ich vorhin gesagt habe. Die Polizei hat die Bank gestürmt und Michael und Tom erschossen. Von uns Geiseln ist keiner verletzt. Ich freu mich schon auf Weihnachten!
Dein Schatz

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17.11.2005 16:37 The Poop Rapist ist offline Beiträge von The Poop Rapist suchen Nehmen Sie The Poop Rapist in Ihre Freundesliste auf
quigor
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Hi, Poop Rapist,
das ist aber eine schöne Geschichte! Als wär´s ein Film von Fellini.
Ich gratuliere Dir zu Deinen Prosa-Texten, mir hat schon der "epische Zweikampf" gefallen.
Schreibst Du auch Lyrik?

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17.11.2005 18:03 quigor ist offline Homepage von quigor Beiträge von quigor suchen Nehmen Sie quigor in Ihre Freundesliste auf
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ich schreib auch lyrik. aber das hat dann meist wenig mit meinen geschichten zu tun, sondern sind hauptsächlich liebesgedichte, wa

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17.11.2005 22:11 The Poop Rapist ist offline Beiträge von The Poop Rapist suchen Nehmen Sie The Poop Rapist in Ihre Freundesliste auf
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Oder hast Du das schon gemacht?

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17.11.2005 22:27 quigor ist offline Homepage von quigor Beiträge von quigor suchen Nehmen Sie quigor in Ihre Freundesliste auf
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